Donnerstag, 26. September 2013

Grüße aus dem Gulag: Brief und Video aus dem Lager in Russland

Nadeschda Tolokonnikowas Verbrechen ist politischer Protest in einer Kirche (unter dem Slogan Pussy Riot). Was in einem zivilisierten Land vielleicht eine Geldbuße wegen Hausfriedensbruch einbringt, bedeutet in der Halbdiktatur Russland Lagerhaft und Sklaverei.

In Sotschi ist 2014 Olympia, in den Arbeitslagern Russlands herrscht seit hunderten Jahren Sklaverei.

Es gibt nur wenige Informationen aus diesen Arbeitslagern. Deshalb hält sich das öffentliche Bild von Russland als Demokratie und viele Deutsche, die nie in Russland waren, finden Russland cool. Frau Tolokonnikowa hat nun einen Brief aus dem Arbeitslager geschmuggelt und beschreibt ihr Leben als Sklavin im Straflager IK-14 im mordwinischen Dorf Parza. Die Welt hat den Brief übersetzt und Gott sei Dank auch in Deutschland veröffentlicht. 

Das perfide System der Sklaverei funktioniert demnach so, dass die Lagerleitung viele Gefangene für Fehler einzelner büßen lässt und so die Häftlinge gegeneinander aufhetzt: Der Häftling dem Häftling ein Wolf. Das Video unten, das aus einem anderen Lager geschmuggelt wurde, zeigt das kollektive Verprügeln und Misshandeln von Häftlingen. Hart gesottene Männer voller Tattoos heulen um Gnade.

Die Briefschreiberin Tolokonnikowa behauptet, der faktische Befehlshaber des Lagers, Oberstleutnant Kuprijanow, sei bekennender Stalinist. 'Ihr müsst wissen, dass ich nach meinen politischen Ansichten Stalinist bin,' zitiert sie ihn.

Sie schreibt weiter: 

"Im besten Fall vier Stunden Schlaf": Meine Brigade in der Nähwerkstatt arbeitet 16 bis 17 Stunden am Tag. Von 7.30 bis 0.30 Uhr. Für Schlaf haben wir im besten Fall vier Stunden am Tag. Einen freien Tag bekommen wir alle anderthalb Monate. Fast an allen Sonntagen müssen wir arbeiten. Die Häftlinge müssen Anträge schreiben, dass sie freiwillig am Wochenende arbeiten wollen. In Wirklichkeit ist es natürlich nicht freiwillig. Doch sie werden von der Leitung des Lagers dazu gezwungen sowie von anderen Häftlingen, die den Willen der Administration durchsetzen.

Um die Disziplin aufrechtzuhalten, wird ein System von informellen Strafen eingesetzt. 'Im Hof sitzen' heißt, dass einem verboten wird, in die Baracke zu gehen, auch im Herbst und in Winter. In einer Abteilung, in der Rentner und Behinderte gehalten werden, lebt eine Frau. Sie musste einen Tag lang im Hof bleiben, ihre Hände und Füße waren so erfroren, dass man ihr einen Fuß und die Finger amputieren musste.
...
Die alten Näherinnen sagen: 'Wenn du ihnen zeigst, dass du 100 Uniformen machen kannst, werden sie die Norm auf 120 erhöhen!' Aber wenn du es nicht machst, wird die ganze Brigade bestraft. Sie wird etwa stundenlang auf dem Platz stehen müssen. Ohne zur Toilette gehen zu dürfen. Ohne einen Schluck Wasser trinken zu dürfen.

"Eine Zigeunerin wurde zu Tode geprügelt": 'Wenn du nicht Tolokonnikowa wärst, hätte man dich schon längst ********', sagen Häftlinge, die der Administration nahestehen. Das stimmt, andere werden geschlagen, wenn sie nicht genug leisten. Auf die Nieren und ins Gesicht. Die Häftlinge schlagen sie, aber das passiert nie ohne Wissen und Billigung der Administration.

Vor einem Jahr wurde eine Zigeunerin zu Tode geprügelt. Das passierte in der dritten Abteilung, in die Menschen gebracht werden, die jeden Tag verprügelt werden müssen. Die Frau ist im Lagerkrankenhaus gestorben. Als Todesursache wurde Schlaganfall angegeben. In einer anderen Abteilung wurden neue Näherinnen ausgezogen und mussten nackt arbeiten, weil sie zu langsam waren.

"Erschöpfte Häftlinge, bereit sich zu prügeln": In der Werkstatt herrscht eine bedrohlich nervöse Atmosphäre. Ständig erschöpfte Häftlinge sind bereit, wegen jeder Kleinigkeit zu schreien und sich zu prügeln. Vor Kurzem brach man einer sehr jungen Frau den Kopf mit einer Schere durch, weil sie eine Hose nicht rechtzeitig gefertigt hatte. Eine andere Frau versuchte die Tage, sich mit einer Handsäge in den Bauch zu stechen. Sie wurde gestoppt.

"Wir dürfen uns nicht in den Baracken waschen": Die Sanitätsbedingungen im Lager sind so, dass ein Häftling sich als rechtloses, schmutziges Vieh fühlt. Es gibt Hygienezimmer in jeder Baracke, aber um Häftlinge zu erziehen und zu bestrafen, müssen alle 800 Frauen in ein gemeinsames Waschzimmer gehen, in das nur fünf Menschen gleichzeitig passen. Wir dürfen uns nicht in den Hygienezimmern in unseren Baracken waschen, das wäre zu bequem.

Im gemeinsamen Zimmer ist ständig Gedränge. Einmal die Woche darf man sich die Haare waschen. Aber auch dieser Tag wird ab und zu abgesagt, weil die Pumpe kaputt oder die Kanalisation verstopft ist. Manchmal konnten wir uns zwei oder drei Wochen am Stück nicht waschen. Wenn die Kanalisation verstopft ist, strömt aus Hygienezimmern Urin, Exkremente fliegen haufenweise raus.

Wir haben gelernt, Rohre selbst zu reinigen, aber es reicht nicht für lange, sie werden wieder verstopft. Einmal die Woche darf man Wäsche waschen. Im Zimmer dafür gibt es drei Wasserhähne, aus denen in einem dünnen Strahl kaltes Wasser fließt. Wahrscheinlich ebenfalls aus Erziehungsgründen bekommen Häftlinge nur trockenes Brot, reichlich mit Wasser verdünnte Milch, ausschließlich ranzige Hirse und nur faule Kartoffeln zu essen.

Im Mai 2013 klagte mein Anwalt Dmitri Dinse bei der Staatsanwaltschaft gegen die Bedingungen im Lager IK-14. Der stellvertretende Leiter des Lagers, der Oberstleutnant Kuprijanow, sorgte daraufhin für unerträgliche Bedingungen. Eine Durchsuchung nach der anderen, Klagen gegen meine Bekannte, warme Sachen wurden beschlagnahmt, man drohte damit, auch warme Schuhe zu beschlagnahmen.
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3 Kommentare:

  1. Wie kommt es zu diesem Video???

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  2. Lev Ponomarev, russischer Menschenrechtler, konnte dies anscheined irgendwie beschaffen und veröffentlichen - siehe Anfang des Videos

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  3. Anscheinend hat die PR-Abteilung des Arbeitslagers IK-2 dieses Video zur Einschüchterung der Häftlinge erstellt.
    Mehr über den Hintergrund
    http://robertamsterdam.com/2008/03/russian_press_on_ponomarev_and_youtube/

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